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Kaum einer von euch dürfte es in den letzten Wochen und Monaten geschafft haben, den Medienberichten des sogenannten Satanistenmordes aus dem Weg zu gehen. Die verschiedensten Nachrichtenmagazine (seriöse, aber auch die auf BILD-Niveau) waren vorne mit dabei, wenn es darum ging, halbfertige Statements über Gruftis, Satanisten und alles was damit zu tun hat, abzugeben. Wir von der Schottland-Freizeit-Seite sind allerdings der Meinung, dass es sich lohnt, etwas differenzierter mit diesem Thema umzugehen. Daher haben wir den Sektenbeauftragten des Kirchenkreises Wetzlar/Braunfels, Pfr. Heiko Ehrhardt, gebeten, uns den folgenden Aufsatz zur Verfügung zu stellen.

Der Aufsatz ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte liegen beim Verfasser, Vervielfältigung und jede andere Form der Veröffentlichung ist natürlich strafbar und wird mit Kerker und Dunkelhaft verfolgt!

Da es nicht ausbleiben wird, dass die Meinungen zu diesem Thema unterschiedlich sind, seid ihr hiermit aufgefordert, die eurige im Forum zu verewigen.






"Always look on the dark side of life"
Ästhetik, Ethik und Religion der sogenannten "Grufties"


1. Zeitzeichen: Leipzig, Pfingsten 2001

Wem es an Pfingsten - kirchliche Treffen oder auch Schützenfeste ignorierend - gelingt, einmal nach Leipzig zum "Wave&Gothic-Treffen" (= WGT) zu kommen, den beschleicht vom ersten Aussteigen im HBF an der Eindruck, unversehens an einem anderen Ort gelandet zu sein.

Oder in einer anderen Zeit.

Das Stadtbild wird beherrscht von einer Unzahl von schwarz gekleideten Personen, die in der Regel viel Zeit, Phantasie und Geld in Kleidung, Hairstyling, Schminke und Körperschmuck investiert haben.

Je näher man dem AGRA-Messegelände kommt, desto mehr verstärkt sich der Eindruck, in eine Gegenkultur einzutauchen, die nur Eingeweihten verständlich ist.

Aufmerksame Besucher machen darüber hinaus die Beobachtung, dass "schwarz" durchaus nicht gleich "schwarz" ist, und dass sich in der schwarzen Masse durchaus signifikante Unterschiede ausmachen lassen.

So gibt es eine Reihe von malerischen Postpunks, die das Vierteljahrhundert von 1976 (dem Jahr, in dem "Sex Pistols"-Manager Malcolm Mc. Laren den Punk erfand) bis 2001 nahezu unbeschadet überstanden haben.

Nur dass die heutigen Protagonisten wohl in der Regel 1976 noch nicht auf der Welt gewesen sein dürften.

Weiter gibt es eine große Gruppe, für die man noch viel weiter in die Vergangenheit zurückgreifen muss, orientieren sich ihre Mitglieder doch am europäischen Mittelalter, das bis in Sprache und Gebärden hinein möglichst originalgetreu rezipiert wird.

Vor allem in und um die Moritzbastei sowie im "Heidnischen Dorf" am AGRA-Messegelände hat man den Eindruck, geradewegs im Mittelalter gelandet zu sein.

Dann gibt es die große Gruppe der "Schwarzen", doch auch diese nach Kleidung deutlich differenziert: Von schwarzen Jeans über Leder hin zu Lack, das Ganze mal mit, mal ohne Rüschen, mit Metallbesatz oder ohne, mit Umhängen, die an Vampirfilme erinnern oder langen (Leder-)Mänteln, manche Gesichter bleich geschminkt und die Lippen rot oder schwarz - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Auch lange, romantische Kleider aus Samt oder Brokat kann man bewundern und ganz besonders modebewußte Frauen erscheinen direkt im weißen Brautkleid.

Nimmt man noch den Teil der Szene hinzu, der sich vor allem an s/m-Utensilien hält (bis hin zu Halsbändern mit Hundeleinen, mit denen einige Personen andere herumführen allerdings dürften die Gruppe derer, die s/m praktizieren deutlich kleiner sein als die Gruppe derer, die die Ästhetik kopieren), dann bekommt man einen ersten und gewiß noch nicht vollständigen Überblick über eine Szene, die in der Regel mit dem Begriff "Grufties" allzu pauschal abgestempelt wird.

Schon der kurze Überblick zeigt, dass die Verwendung derartiger Schubladen eher in die Irre führt.

Die "Darkwave/Gothicszene" ist in sich so vielschichtig und differenziert, dass die Verwendung einfacher Schubladen nicht zureichend sein kann, und eher der Bildung unsinniger Klischees dient.

Anliegen der vorliegenden Ausarbeitung ist es daher, einige Klischeevorstellungen zu hinterfragen und gerade zu rücken und einen Blick auf die Vielfalt und Toleranz (!) der gesamten Szene zu ermöglichen.



2. Zeitreise: 1967-1976-1989-2001

Wir schreiben das Jahr 1967. Europa erlebt die ersten Vorzeichen der Studentenproteste, in Kalifornien rufen die Hippies den "Sommer der Liebe" aus, die alte Nachkriegsordnung bebt und ächzt in allen Fugen und in New York gehen 4 düstere, schwarz gekleidete Personen ins Studio, um die Welt mit dem zu beliefern, was sie selbst "White Light/White Heat" nennen. Die Rede ist von "Velvet Underground", einer Band, die zunächst als cleveres Marketingprodukt von Pop-Art-Guru Andy Warhol gegründet wurde, dann aber rasch zu künstlerischer Eigenständigkeit und eigenen Ausdrucksformen fand.

Bei Velvet Underground findet man vieles, was später die Darkwave/Gothicszene auszeichnete: Durchgehend schwarze Kleidung, noch dadurch verstärkt, dass die Bandmitglieder in aller Regel Sonnenbrillen trugen, eine starke Neigung zu den düsteren und abseitigen Seiten des Lebens hatten (bis dahin, dass eines ihrer Stücke den programmatischen Titel "Venus in Furs" nach Leopold Sacher-Masochs gleichnamigem Roman trug), und das sichere Gefühl, zur Gegenkultur zu gehören und den bestehenden Musikbetrieb weitgehend ablehnen zu können bzw. zu müssen.

Auch wenn Velvet Underground in der Regel nicht als Ausgangspunkt der Darkwave/Gothic-Szene genannt wird, so verdient diese Band doch besondere Beachtung da sie bis heute einen enormen Einfluss ausübt.

Ein weiterer deutlicher Fingerzeig mag damit gegeben sein, dass die Soloalben von Velvet Underground-Sängerin Nico zum Standardrepertoire der Londoner Disco "Batcave" gehörten, die als erste Darkwave/Gothic-Disco der Welt gilt.



1976 dann wurde die Welt von dem erschüttert, was schnell als "Punk" zur Modewelle verkam: Schnelle, rauhe, harte Rockmusik mit äußerst provokativen Texten, vorgetragen von Bands, die in aller Regel ihre ersten Demos in der heimischen Garage aufgenommen hatten, technisch eher unbedarft wirkten, aber der herrschenden Musikkultur, die von theatralischen und aufwendig produzierten Materialschlachten von Bands wie Genesis, Pink Floyd oder Yes beherrscht wurde, einen deutlichen Spiegel vorhielten.

Auch wenn die angebliche "Revolution" vor allem ein Produkt des findigen Managers Malcolm Mc. Laren und der kreativen Designerin Vivienne Westwood und ebenso schnell vorbei wie ausgerufen war, so gab es doch eine Reihe von Bands, die über soviel kreatives Potential verfügten, dass sie bis heute bekannt sind und stilbildend wirkten.

Dies gilt vor allem für die Band "The Cure", die mit ihrem Frontmann Robert Smith regelmäßig genannt werden, wenn nach den Stammvätern der Darkwave/Gothicmusik gefragt wird. Auch wenn "The Cure" sicher von Anfang an differenzierter musizierten als die äußerst simplen Punkbands, die aufgrund der Tatsache, dass sie ihre Songs oft nur zwei oder drei Akkorde hatten häufig verspottet wurden, so entstammen sie doch dem weiteren Umkreis des Punk.

Daneben wäre in jedem Fall auch die Sängerin Susan Dallion zu nennen, die unter ihrem Pseudonym "Siouxsie Sioux" mit ihrer Band "The Banshees" zwar im Kontext des Punk beheimatet war, die sich dann aber deutlich introvertierter, differenzierter und intellektueller über den landläufigen Punk hinaus entwickelte.

Schließlich wären die "Stranglers" zu nennen - auch sie eine Band, die bis heute immer mal wieder ein Lebenszeichen von sich gibt und die den engen Rahmen des Punk recht bald um düstere und aggressive Töne bereicherte.

Fragt man allerdings nach der ersten Band, die im engen Sinne "Gothic" war, dann wird man "Bauhaus" mit Sänger Peter Murphy nennen müssen, die eine eigenständige, avantgardistische Musik mit theatralischer Bühnenshow boten, die kaum noch im Punk verwurzelt war und auf Zukünftiges wies, allerdings erst nach ihrer Auflösung die gebührende Anerkennung fand.

Neben diesen englischen Bands sind noch einige weitere Musiker zu nennen, die nicht dem Umfeld des Punk entstammen, wohl aber Mitte der 70er Jahre den Grundstein für die spätere Darkwave/Gothicszene legten.

Hier vor allem die deutschen Elektronikpioniere von "Kraftwerk", der Musiker David Bowie (der sich allerdings kaum einer bestimmten Szene zuordnen läßt), die amerikanische Band "Christian Death", die vor allem durch ausgesprochen antikirchliche Texte auffiel sowie eine Reihe von Hardrockbands - allen voran "Black Sabbath".

Diese und viele andere, häufig in Vergessenheit geratene Bands stehen am Beginn der Darkwave/Gothic-Music.

Allerdings hatte das Kind damals noch keinen rechten Namen und bis weit in die 80er Jahre hinein gab es kaum eine Möglichkeit der Zuordnung. Trotzdem werden die "Goldenen 80er" im Rückblick bis heute verklärt dargestellt, was sich u.a. daran zeigt, dass es eine Unzahl an 80er Jahre Parties bis in gewöhnliche Discos hinein gibt.



Mit dem enormen Umbruch in Osteuropa im Jahr 1989 gab es einen zusätzlichen Schub, denn eine Reihe von nonkonformen und oppositionellen Jugendlichen in der DDR gehörten der Darkwave/Gothicszene an. Es ist kein Zufall, dass Leipzig bis heute der Ort ist, an dem das WGT stattfindet und dass "Rammstein", eine der Bands, die Darkwave/Gothic weit über die Szene hinaus popularisierten, aus Ostdeutschland stammen.

Versprengte Expunks, ehemalige DDR-Nonkonformisten, Vertreter westdeutscher Gegenkultur und Liebhaber avantgardistischer Musik fanden sich in den Jahren nach 1989 zusammen zu der Szene, die heute mit dem Begriff "Darkwave/Gothic" recht unscharf beschrieben wird.



Will man die Szene im Jahr 2002 einigermaßen übersichtlich darstellen, dann kann man grob vier verschiedene Richtungen unterscheiden:

· zum einen gibt es den klassischen "Gothic Rock". Dieser ist deutlich vom Rock beeinflußt was vor allem dadurch deutlich wird, dass Gitarren dominieren. Vielfach gibt es auch Überschneidungen ins Lager der Metal-Music - hier spricht man meist von Gothic Metal. Bekannte Bands sind vor allem die "Sisters of Mercy" aber auch die schon



So kann ein Grufti aussehen!

genannten "Cure" und "Christian Death" lassen sich hier einordnen. Anspruchsvollen "Gothic Metal" spielen z.B. "Theatre of Tragedy", die zu hartem Metal eine versierte Sopranistin aufbieten eine ungewöhnliche, aber durchaus typische Kombination von eigentlich widersprüchlichen Elementen.

· Darkwave. Anders als der Gothic-rock basiert Darkwave vor allem auf elektronischer Klangerzeugung. Vielfach werden Gitarren völlig ausgelassen und es kommt zu durchaus avantgardistischen Klängen. So ist etwa Ernst Horn, die eine Hälfte der Band "Deine Lakaien" ein ausgesprochener Klangkünstler, der seine Talente auch noch in anderen Bands, etwa der gewöhnungsbedürftigen aber sehr kreativen Band "Quntal" einbringt. Die klassische Darkwave-Band ist "Depeche Mode", die bis heute ungebrochene Popularität genießen.
Innerhalb dieses Spektrums gibt es auch wieder unterschiedliche Nuancen - die Elektronik kann derart hart und rhythmisch sein, dass man von EBM (= Electronic Body Music) spricht - mit deutlichen Tendenzen hin zur Technoszene. In der amerikanischen Szene wird häufig Elektronik mit Rock gekreuzt und von "Industrial" - hier sind die schräge Avantgardeband "Throbbing Gristle" als Wegbereiter und "Ministry" sowie "Nine Inch Nails" als bekannte Vertreter zu nennen.

· Neofolk und "Mittelaltermusik" stehen in genauem Gegenteil zur elektronischen Klangerzeugung. Hier geht der Weg deutlich zurück zur akustischen Musik und zu historischen Instrumenten wie Schalmei oder Dudelsack. Hier wäre vor allem die Band "Estampie" zu nennen, die mit großer Akribie versucht, die Musik des Mittelalters und auch anderer Kulturkreise authentisch wiederzugeben. Daneben gibt es manche interessante Kreuzung - vor allem hin zur Metalszene die u.a. eine Band wie "In Extremo" hervorgebracht hat, die harte Metal-Music mit mittelalterlichen Instrumenten mischen - eine Mischung, die durchaus gekonnt ist und ankommt.

· Die große Gruppe derer, die sich nicht einordnen lassen. Hierhin gehören z.B. "Goethes Erben", die sich an ausgesprochen ambitioniertem Musiktheater mit ausgezeichneten Texten probieren, die theatralische Rockband "Lacrimosa", die zuletzt vor allem mit großem Orchester gearbeitet haben, aber auch eine Band wie "Umbra et Imago", die offen einem Hang zu sadomasochistischen Praktiken frönen und bei deren Liveperformances auch Seminare für s/m-Einsteiger angeboten werden.

Musikalisch ist das gesamte Spektrum kaum einzugrenzen - es spricht aber für die Szene, dass derart viel kreatives Potential vorhanden ist. Einige Bands haben in den letzten Jahren sogar erstaunliche kommerzielle Erfolge erzielen und breiteres Interesse der Öffentlichkeit finden können so vor allem die finnische Band "HIM", der australische Düsterpoet Nick Cave und die beiden deutschen Bands "Rammstein" und "Deine Lakaien". Allerdings hat kommerzieller Erfolg innerhalb der Gothic-Szene bei weitem nicht die Bedeutung wie in der weitgehend von Zahlen diktierten kommerziellen Musikszene.

3. Zeitgemäßes und Unzeitgemäßes - ein paar kritische Bemerkungen
Es liegt auf der Hand, dass ein Segment der Jugendkultur, das sich so offensichtlich an Vergangenem orientiert und das sich so offensichtlich außerhalb der Zeit stellt, kritischen Rückfragen ausgesetzt ist. In der Regel ordnet man die Darkwave/Gothic-Szene denn auch dem "nirvanischen" Typ von Jugendkultur zu, der "Trance, Ekstase und Weltvergessenheit zum Ziel hat." Und das prägnante Zitat "Mein Schwarzsein bedeutet vor allem: Laßt mich in Ruhe mit eurer lauten Welt" auf der Rückseite von Klaus Farins Gothicbuch unterstreicht dies mit Nachdruck.
Darüber hinaus wurde und werden der Darkwave/Gothic-Szene auch immer wieder gewalttätige und rechtsradikale Tendenzen zum Vorwurf gemacht und bisweilen ist es im Kontext der Szene auch zu Selbstmorden gekommen.
Vor allem aber der "Ruda-Prozeß" um Daniel und Manuela "Alegra" Ruda, die einen Arbeitskollegen brutal ermordeten, findet derzeit in den Medien ein breites Echo und ist dazu angetan, das Klischee vom gewalttätigen, satanistischen und gemeingefährlichen "Gruftie" weit zu verbreiten.
Abseits von diesen Klischeevorstellungen muss man allerdings sagen, dass die meisten "Grufties" harmlose, ja freundliche und sympathische Zeitgenossen sind. Liest man etwa die Kontaktanzeigen oder die Lyrikseiten in Szenezeitschriften wie "Orkus" oder "Zillo", dann entsteht eher der Eindruck, dass man es mit sensiblen, bisweilen etwas wirklichkeitsfremden Menschen zu tun hat gewiss aber nicht mit brutalen Schalgetots.
Der Ruda-Mord wird daher - soweit ich sehe - einhellig verurteilt so einhellig, dass die Szenezeitschrift "Zillo" eine komplette Titelseite dem Bekenntnis "Wir sind keine Mörder" opferte.
Es wäre daher mehr als unfair, wenn man die Szene von ihren äußersten Randerscheinungen her beurteilen würde, so unfair, wie es eine Beurteilung von Fußballfans allein anhand von gewalttätigen Hooligans wäre. Zu fragen wäre vielmehr, ob die Gewalttätigkeit innerhalb der Gothic-Szene signifikant höher liegt als in anderen Jugendkulturen. Auch wenn mir hier eindeutige Zahlen fehlen, deuten alle Beobachtungen darauf hin, dass dem nicht so ist.
Schwerer freilich wirkt der Vorwurf rechtsradikaler Tendenzen.
Zwar wird man innerhalb der Darkwave/Gothic-Szene entschieden mehr überzeugte Antifaschisten als überzeugte Rechtsradikale finden trotzdem gibt es einen braunen Rand, den man nicht so einfach übersehen kann. Dieser rekrutiert sich allerdings nicht aus gewaltbereiten und martialisch aussehenden Skinheads, sondern aus weit rechts stehender intellektueller Avantgarde.
Deshalb ist es auch ausgesprochen schwer, klassisch rechtsradikale statements zu hören oder gar Lieder und Texte zu finden, die man indizieren könnte. Die Vermittlung von Inhalten geschieht eher auf dem Weg der Benutzung von Symbolen und zweideutigen Aussagen. Vielfach werden auch Ausschnitte aus eindeutigen Reden (etwa des rumänischen Faschisten Corneliu Codreanu in einigen Stücken der Band "Death in June") gesampelt allerdings immer in Dosen, die keine Indizierung möglich machen.
Die Vermittlung radikaler Inhalte zielt denn auch weniger auf den kurzfristigen Erfolg und mehr auf nachhaltige Wirkung unter Aufnahme der Theorie von der "kulturellen Hegemonie" von Antonio Gramsci. Ziel ist es nicht, kurzfristige Erfolge zu erringen, sondern Gedankengut in Köpfen zu verankern. Dies macht durchaus Sinn, denn die Darkwave/Gothic-Szene entstammt vor allem der Mittelschicht, es gibt erstaunlich viele Gymnasiasten und Studenten und wohl mehr als hälftig Frauen, so dass zukünftige Eliten angesprochen werden und das enge Ghetto der Skinheads verlassen werden könnte, hätten die Versuche, die kulturelle Hegemonie zu erringen, Erfolg.
Nun muss aber deutlich darauf hingewiesen werden, dass die Szene erkennbar reagiert hat. Der Versuch, rechtsradikales Gedankengut zu verankern, mag an den Rändern gelungen sein ins Zentrum der Bewegung konnten Bands wie "Death in June", "Forthcoming Fire", "Blood Axxis" oder "von Thronstahl" nicht eindringen. Und der rührige Verleger Werner Symanek, dessen Verlag VAWS ein zentrales Sammelbecken rechtsaussen stehender Bands darstellt, ist den meisten von mir befragten Gothics schlicht unbekannt gewesen.
Trotzdem sollte die Gefahr von rechts nicht verharmlost werden in einer Szene, die mit einem gewissen Recht von sich behauptet, avantgardistisch zu sein und die deshalb in der Gefahr steht, "Masse" abzulehnen und sich womöglich über die "Normalen" zu erheben. Wenn sich Avantgarde mit Verachtung für die Masse paart, ist der Schritt zum Faschismus nicht mehr weit. Und wenn dann, etwa in einem Video der Band "Rammstein", Musik mit Bildern von Leni Riefenstahls berühmten Propagandafilmen unterlegt wird, dann muss die Frage gestellt wird, ob derartige Ästhetik von einer Verachtung des Nicht-Schönen, Nicht-Starken, Nicht-Gesunden begleitet wird. Denn spätestens dann ist eine Grenze überschritten.
Deshalb ist es gut, dass es Bands wie etwa "Goethes Erben" oder auch "Lacrimosa" gibt, die deutlich gesellschaftskritische Aussagen mit der Proklamation humaner Werte verbinden und die das Klischee vom "nirvanischen Charakter" der Darkwave/Gothic-Szene nachhaltig erschüttern.
Gerade wer weiß, dass eine der Wurzeln der Szene im Punk, der immer auch eine harte sozialkritische Note hatte, liegt, wird damit rechnen, dass es auch deutlich politische Stellungnahmen aus der Szene gibt.
Vielleicht zu wenige - aber doch vorhanden.

4. Zeit zur Ewigkeit. Religiöse Anmerkungen.
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Frage nach den religiösen Bezügen der gesamten Dark Wave/Gothic-Szene.
In der Regel herrscht das Klischee vor, dass man es mit mehr oder weniger okkult oder gar satanistisch ausgerichteten Personen zu tun bekommt wenn man sich auf die Szene einlässt. Und dieses Klischee wird bei einem Festival wie etwa dem WGT, aber auch bei vielen anderen kleineren Festivals nachhaltig dadurch gestützt, dass es eine Reihe von Verkaufsständen gibt, die so ungefähr alles anbieten, was der zahlungskräftige Neuheide oder Satanist braucht. Umgedrehte Kreuze, Pentagramme, diverse Räuchermaterialien, rituelle Gewänder, Totenschädel, verschiedenste Kerzenleuchter, Fledermäuse, Vampirzähne und sogar Särge stehen ebenso zum Verkauf wie eine Reihe einschlägiger Bücher vom 6. und 7. Buch Mose über Schriften von Crowley und la Vey bis hin zu Andrea Haugens neuheidnischem Handbuch "Die alten Feuer von Midgard". Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Büchern, Gegenständen und Symbole zu erstehen, die dem Bereich der Esoterik entstammen und auch dies scheint großen Absatz zu finden.
Ein Blick in die Menge jedenfalls zeigt, dass die zum Verkauf stehenden Symbole, Gegenstände und ücher auch gekauft, getragen, benutzt und gelesen werden. Gemessen an der Zahl der umgedrehten Kreuze etwa, die man auf dem WGT zu sehen bekommt, müsste die Anzahl der praktizierenden Satanisten in Deutschland deutlich größer sein, als sie gemeinhin geschätzt wird. Schon dieser Befund deutet an, dass eine allzu platte Einschätzung der Szene als okkult-satanistisch der Szene gewiss nicht gerecht wird. Die Szene ist wesentlich komplexer, als die provokativ zur Schau gestellten Symbole vermuten lassen. Es ist mir z.B. durchaus passiert, dass ich von Bekannten zu einem christlichen Gebetstreffen auf dem WGT eingeladen wurde und im Begleitprogramm des WGT gibt es neben anderem auch klassische Kirchenmusik in Leipziger Kirchen zu hören.
Als erster Befund sollte daher zunächst nur festgehalten werden, dass Religion innerhalb der Darkwave/Gothic-Szene ausgesprochen präsent ist. Anders als in anderen Jugendkulturen, wo die religiösen Bezüge vor allem indirekt hergestellt werden müssen sind religiöse Themen und Fragestellungen hier sehr direkt und unvermittelt präsent. Allerdings und auch hier ist die Szene Teil gegenwärtiger Jugendkulturen werden die religiösen Fragen in der Regel an den Kirchen vorbei gestellt und an den Kirchen vorbei oder sogar bewusst gegen die Kirchen beantwortet. Frontstellung gegen die Kirchen, von denen keine Antworten mehr erwartet werden, und die durch ihre Geschichte belastet sind, prägt die Szene deutlich.
Und diese Frontstellung wird provokativ ausgelebt.
Wie die breit angelegte Umfrage von Marion Hitthaler allerdings zeigt , glaubt eine breite Mehrheit (71 %) gar nicht an Satan und auch die Minderheit, die an Satan glaubt (23 %) ist in sich vielschichtig und geht nicht einfach in Klischees auf.
Neben fragwürdigen Death-Metal-Bands und Marilyn Manson , die mit Entsetzen Scherz treiben und die oft äußerst brachiale Bilder, Texte und Symbole verwenden, steht auch eine Gruppe, die sich am Satansverständnis moderner Hexen und Esoterik orientiert und die deutlich softer und zurückhaltender auftritt.
Überhaupt habe ich den Eindruck, dass der größte Teil der Szene eher esoterisch-soft denn stanistisch-brachial eingestellt ist.
Damit allerdings steht die Szene in einer deutlichen Distanz zu den großen Kirchen. Zwar gibt es innerhalb der Szene eine kleine christliche Gruppe, die oft im Bereich der "Jesus-Freaks" beheimatet ist und auch einige christliche Bands wie "Saviour Machine", "Shadow Project" und "Virgin Black" trotzdem steht die breite Mehrheit den Kirchen sicher distanziert-ablehnend gegenüber.
Diese Ablehnung kann reine Provokation zur Folge haben (etwa die Verwendung von Symbolen), sie kann aber auch reflektiert erfolgen. So gibt es von der Band "Das Ich" eine Reihe von harten, aber durchaus differenzierten Texten, die Kirche und christliches Glaubensgut in der Tradition Nietzsches in Frage stellen, dabei aber allzu platte Klischees vermeiden und zum Nachdenken anregen können. Da "Das Ich" aber sehr provokant auftreten ihre nächste CD etwa trägt den Titel "Antichrist", ein älterer Sampler mit dem Titel "Satanische Verse" enthält u.a. ein Stück mit dem Titel "Des Satans neue Kleider" ist es leicht möglich, von den plakativen Titeln derart abgeschreckt zu werden, dass es nicht mehr zu einer Auseinadersetzung mit den Inhalten kommt. Und gerade diese Auseinandersetzung soll provoziert werden.
Insgesamt jedenfalls ist der unterstellte Satanismus der Szene ein Klischee, das durch Wiederholung nicht besser wird. Die Darkwave/Gothic-Szene bietet einen ähnlichen Befund wie andere Jugendkulturen auch: Religiöse Fragestellungen sind dauernd präsent und werden im Gegensatz zu anderen Jugendkulturen - unbefangen geäußert und beantwortet wobei den Kirchen aber weithin nicht mehr zugetraut wird, Antworten geben zu können.
Einmal mehr bleibt diese Vermittlungsaufgabe aufgegeben.